Cover
Titel
Endstation Algerien. Schweizer Fremdenlegionäre. Dreizehn Lebensbilder der 1950er Jahre


Autor(en)
Oertli, Vinzent
Erschienen
Appenzell 2007: Appenzell Volksfreund
Anzahl Seiten
Preis
ISBN
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Kreis

Die Historiographie zur Schweiz und zur französischen Fremdenlegion ist bescheiden: eine Freiburger Liz.-Arbeit von Eveline Maradan (1987) zu den Jahren 1831–1861, dann einige Erinnerungsschriften. Jetzt diese Darstellung zu den 1950er Jahren. Sie stützt sich auf einige Akten des EMD und der Auslandvertretungen in Paris, Algerien, Marseille und Mulhouse sowie auf ein paar wenige parlamentarische Erklärungen und Presseerzeugnisse. Die Archive der Fremdenlegion blieben unzugänglich. Die angereihten Erlebnisberichte vermitteln aufschlussreiche Einblicke, sie werden jedoch keiner systematischen Auswertung unterzogen. Einige Jahre zuvor hat der gleiche Autor einen umfangeichen Band zu den schweizerischen Freiwilligen des Russlandfeldzugs 1941–1945 zusammengestellt (1997). Vinzenz Oertli behandelt die Legion als eine vergangene Geschichte, es stört ihn nicht, dass die «sattsam beweihräucherte» Fremdenlegion vom Podest heruntergeholt werde. Er kritisiert die «geradezu kriminellen Strafmethoden», das Desinteresse an den «Nöten des kleinen Mannes», das «skrupellose Verheizen» ganzer Bataillone, da keine Franzosen und französische Angehörige davon betroffen waren. In persönlichen Schilderungen lässt er auch offen von Kriegsverbrechen berichten, etwa von der befohlenen Erschiessung eines etwa zehnjährigen Mädchens oder von Folterungen mit Elektroschocks an Geschlechtsteilen und unter Verwendung von Waffen schweizerischer und gar eidgenössischer Herkunft.

Das Buch gibt über drei Bereiche unterschiedlich breit Auskunft: Da und dort, jedoch ohne systematische Erfassung und nur in kurzen Erwähnungen, eben die Rolle der Fremdenlegion im Kolonialkrieg. Am ausführlichsten ist sodann von den persönlichen Erlebnissen und von den Motiven die Rede, welche zum Eintritt in die Legion führten. In den 1950er Jahren taten immerhin gegen 300 jedes Jahr diesen Schritt. Die wenigsten seien aus Lust zum Soldatenberuf in die Legion gegangen und schon gar aus politischen Motiven; bei den Freiwilligen des Russlandfeldzugs waren immerhin ein Drittel Sympathisanten. Eher ging es darum, Unannehmlichkeiten in der Heimat (Berufsproblemen, Beziehungskonflikten) aus dem Weg zu gehen. Die Illusion, ein «neues Leben» anfangen zu können, und am Rande auch die Abenteuerlust mögen bei den Entscheiden, die auch als Kurzschlusshandlungen bezeichnet werden, mitgespielt haben.

Von besonderem Interesse sind – oder wären – die ebenfalls nur punktuell angesprochenen und ebenfalls ambivalenten Haltungen der Behörden. Nicht nur diejenigen der Militärgerichte, die in den Jahren 1948-1957 immerhin gegen 600 Fälle beurteilten, sondern auch die Haltungen der zivilen Behörden. General Guisan hatte keinerlei Berührungsängste und stattete der Legion zu Beginn der 1950er Jahre in Tunesien, Algerien und Marokko einen Besuch ab. Die Fremdenlegion wird mitunter auch heute noch auch als Fortsetzung der ruhmreichen Solddienste verstanden und behandelt. 1955 zeigte sich EMD-Vorsteher Paul Chaudet über die Schwächung der Wehrkraft beunruhigt, welche die Schweiz durch die Abgänge in die Legion erleide, die Kriegserfahrung der Rückkehrer sei dagegen von geringem Nutzen. Anderseits bezichtigte ein EMD-Sprecher die mit Bundsgeldern etwas subventionierte private Kampagne gegen die Legion als «Beihilfenschaft zur Fahnenflucht aus der französischen Armee». 1959 erklärte der für die Aussenpolitik zuständige Max Petitpierre auf Anfrage hin, dass völkerrechtlich gegen die Legion nichts unternommen werden könne; anfechtbar wäre nur die Zulassung von Schweizern unter 18 Jahren. Petitpierre verurteilte indessen explizit die in Algerien verübten Grausamkeiten gegenüber der Zivilbevölkerung, was sogleich die Konfiskation von Schweizer Blättern an der französischen Grenze zur Folge hatte. Im gleichen Jahr protestierte Frankreich gegen die antifranzösische Propaganda der an der MUBA aufgelegten Schriften des privaten Komitees gegen den Eintritt junger Schweizer in die Fremdenlegion. Bis zu einem gewissen Grad hatte man im Bundeshaus Verständnis für die Ungehaltenheit der französischen Nachbarn: Es könne nicht «unsere Sache» sein, im Rahmen der Aufklärung der jungen Schweizer den Kolonialismus zu bekämpfen. Zoll und Bundespolizei hatten zu prüfen, wie weit strafbare Beziehungen zur algerischen Befreiungsbewegung im Spiel waren. Oertlis Darstellung vermeidet dezidierte Stellungnahmen, zugleich lebt sie jedoch von der ambivalenten Faszination, die vom Thema ausgeht und die anziehend wie abstossend wirkt. Eine Materialisierung dieser Ambivalenz findet sich in der Uniform, die ein Ehemaliger dem Schweizerischen Landesmuseum vermacht hat.

Zitierweise:
Georg Kreis: Rezension zu: Vinzent Oertli: Endstation Algerien. Schweizer Fremdenlegionäre. Dreizehn Lebensbilder der 1950er Jahre. Appenzell, Appenzeller Volksfreund, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 3, 2009, S. 379-380.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 59 Nr. 3, 2009, S. 379-380.

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